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Bevor ein weiterer Monat verstreicht, nutze ich das (semi-)gute Wetter, um mit Bill Bryson und Stephen Katz die letzten Meilen auf dem Appalachian Trail zurückzulegen. Um mich herum summen die Bienen, die sich an den Blüten unserer Tomatenpflanzen und Studentenblumen laben, ein Zwist unter zwei Tauben sorgt für Unruhe in den Bäumen und der Wind faucht in meinen Ohren. Aber wie wir beim letzten Mal erfahren haben, birgt Natur so viel mehr – Faszinierendes und Gefährliches gleichermaßen. Ich bin gespannt, was der Appalachian Trail heute für uns bereithält …

Update 14.25 Uhr

Während ich auf dem Balkon in eine Decke gehüllt und bei Windböen von 20km/h lese, demonstriert das Katerchen, wie Wohlfühlen geht.

Während ich auf dem Balkon in eine Decke gehüllt und bei Windböen von 20km/h lese, demonstriert das Katerchen, wie Wohlfühlen geht.

Langsam mutet das Wetter hier eher herbstlich denn sommerlich an. Vom einst so blauen Himmel ist nichts mehr zu sehen und ohne Decke länger auf dem Balkon zu sitzen, ist nicht mehr möglich. Das Katerchen hat es da besser: Fiyero nahm während meiner Abwesenheit den Lesesessel in Beschlag und räkelt sich seither in größter Gemütlichkeit.

Und die Reisegefährten Bryson und Katz? Die wanderten durch Virginia, wo Bryson aus Versehen den Wanderstock, den er von seinen Kindern bekam, an einen Baum gelehnt stehen ließ. Kurz darauf haben Bryson und Katz ihre erste Etappe auf dem Trail hinter sich gebracht und eine mehrwöchige Wanderpause eingelegt, um beruflichen Verpflichtungen nachzukommen. In Front Royal, Virgina, ließen sich die beiden von Brysons Familie abholen. Etwa ein Viertel Jahr später werden sie erneut aufbrechen und einen weiteren Abschnitt des Appalachian Trails in Angriff nehmen. Bis es so weit ist, macht Bryson immer wieder kurze Wanderausflüge auf dem Trail, der unweit seines Wohnhauses entlangführt.

Während dieser Kurzwanderungen denkt Bryson oft an die beiden jungen Frauen Laura „Lollie“ Winans und Julianne Williams, die nur einen Monat nach Brysons und Katz‘ Rückkehr auf dem Appalachian Trail ermordet wurden. Bryson stellt sich vor, welchen Punkt die beiden Frauen andernfalls inzwischen erreicht hätten, dass er sie vielleicht sogar kennengelernt hätte. Das Schicksal der beiden Frauen sorgt aber selbstverständlich auch für Beunruhigung bei Trail-Wanderern, wie eine Mitarbeiterin der Appalachian Trail Conference (seit 2005: Appalachian Trail Conservancy) heraushebt:

„‚It’s awful. Everyone’s really upset about it, because trust is such a kind of bedrock part of hiking the AT, you know? I thru-hiked myself in 1987, so I know how much you come to rely on the goodness of strangers. The trail is really all about that, isn’t it? And to have that taken away, well …'“ (S. 220)

Update 19.55 Uhr

Es ist geschafft: Meine Wanderung mit Bryson und Katz durch die Wälder der Appalachen liegt hinter mir. Über 350 Seiten hinweg wanderten wir fast 1.000 Meilen durch diverse geografische Höhenlagen, über Berge, durchs Wasser, bei Schneesturm und Hitze. Für einige Wochen machten Bryson und ich kurze Wanderausflüge entlang des Appalachian Trails in Pennsylvania und New Hampshire, wo wir unter anderem „Chicken John“ kennenlernten, der nicht weiß, woher er diesen Spitznamen hat (er heißt ja nicht einmal John), aber entlang des Trails jedem Hiker ein Begriff gewesen ist, weil er es schafft, sich immer wieder aufs Extremste zu verlaufen.

Stephen Katz stieß erst für die Wanderung durch Maine, den letzten Staat entlang der Appalachen, zu uns – und sorgte dabei für ordentlich Trubel: zunächst weil er wieder angefangen hat zu trinken, später dann weil er plötzlich spurlos verschwunden war und man nach stundenlanger erfolgloser Suche mit dem Schlimmsten rechnen musste. Doch – ich denke, das gilt nicht als Spoiler – am nächsten Tag fanden wir Katz wieder. Katz hatte hier, wie so manches Mal, mehr Glück als Verstand …

Neben all den Strapazen war die Wanderung auf dem Appalachian Trail vor allem eindrucksvoll und informativ. Bryson ist ein fabelhafter Weggefährte, der mir viel über Umwelt und Natur in den Appalachen verriet, aber auch etwas für den Literaturliebhaber bereithält:

„Greylock is certainly the most literary of Appalachian mountains. Herman Melville, living on a farm called Arrowhead on its western side, stared at it from his study window while he wrote ‚Moby-Dick‘, and, according to Maggie Stier and Ron McAdow in their excellent ‚Into the Mountains‘,  a history of New England’s peaks, claimed that its profile reminded him of a whale. When the book was finished, he and a group of friends hiked to the top and partied there till dawn.“ (S. 270 f.)

Eine Party werde ich jetzt zwar nicht schmeißen, doch werde ich die Appalachen mental und virtuell garantiert noch öfter bereisen. Vielen Dank, Herr Bryson, dass Sie mich auf diese voller Impressionen steckende Wanderung mitgenommen haben!

 

Bill Bryson: „A Walk in the Woods“, Black Swan 1998, ISBN: 0-552-99702-1

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