Ein Maulwurf schafft sich unter einer idyllischen Wiese ein neues Zuhause. Dort lebt er ein einfaches Leben – es gibt keinen Luxus, aber alles, was der Maulwurf braucht. Im Laufe der Zeit gesellen sich jedoch immer mehr seiner Artgenossen hinzu. Gemeinsam entwickeln sie ihre Grabungstechniken weiter, bis sie ihre Arbeit schließlich nicht mehr mit ihren Pfoten ausüben müssen, sondern von großen Maschinen vornehmen lassen. Mit dem technischen Fortschritt wird auch das Leben in der unterirdischen Stadt immer komplexer. Die Maulwürfe richten sich in ihren Behausungen zunehmend komfortabler ein, während das Stadtbild von Leuchtreklamen und überfüllten Straßen geprägt ist. Das einst ruhige, schlichte Leben weicht Lärm, Hektik und Konsum. Doch nicht nur unter der Erde hat sich im Laufe der Jahre alles verändert, denn das hochentwickelte Leben unter Tage hat auf der einst grünen Wiese katastrophale Spuren hinterlassen.

In seinem zweiten Buch, das nun beim Zürcher Verlag NordSüd erschienen ist, hält uns Torben Kuhlmann den Spiegel vor: Welches Recht nehmen wir uns heraus, mit unseren Ressourcen kurzsichtig und verantwortungslos umzugehen? Wieso werden materielle Dinge, kurzzeitige Freuden und Nutzen der naturgegebenen Schönheit und sogar den Lebensgrundlagen übergeordnet? Und lässt sich der Schaden, den die Menschen der Erde noch immer zufügen, je wiedergutmachen? Inwieweit ist er reversibel?

Natürlich sind Umweltschutz und Nachhaltigkeit keine neuen, revolutionären Themen, doch sind sie von unveränderter Aktualität, denn trotz aller Bemühungen der vergangenen Jahrzehnte wird der Regenwald weiter abgeholzt, Riffe zerstört, Tiere ihrer Lebensräume beraubt und – wie im Fall des Frackings – noch immer Techniken mit unabsehbaren Risiken implementiert. Torben Kuhlmanns „Maulwurfstadt“ möchte ich daher nur allzu gern zur Pflichtlektüre für politische und wirtschaftliche Akteure machen, denn es ist fast schon unglaublich, wie es dem Hamburger Illustrator gelingt, einen solchen Sachverhalt auf nur 32 Seiten anschaulich, pointiert und authentisch darzustellen – und das nahezu ohne Worte! Lediglich am Anfang und am Ende stößt der Leser bzw. Betrachter auf ein paar erläuternde Zeilen, alles andere erfahren wir allein durch die Bilder. Und die sind zum Verständnis der Geschichte auch vollkommen ausreichend! An keiner Stelle bleibt der Betrachter mit Fragen zurück und so gräbt man sich förmlich selbst hinein in die Maulwurf’sche Welt, immer tiefer und tiefer, bis man – den Maulwürfen gleich – vergisst, dass es auch ein „über der Erde“ gibt. Dabei überzeugen Torben Kuhlmanns Bilder – wie schon in seinem Debüt „Lindbergh“ – mit atemberaubendem Ideen- und Detailreichtum: Im Erdreich tummeln sich die Regenwürmer und Maden, aus einem Zimmer hängt ein Nintendo-Controller und die Bahnwaggons fahren nicht nur horizontal, sondern auch vertikal durchs Erdreich. Besonders beeindruckend kommt jedoch eine Draufsicht auf einen Maulwurf’schen Schacht daher, die allein beim Betrachten Schwindelgefühle auslöst.

Hervorhebenswert sind zudem die roten Fäden, die Torben Kuhlmann von „Lindbergh“ zu „Maulwurfstadt“ gesponnen hat: In beiden Büchern sind Tiere die handelnden Figuren, dominieren warme, gedeckte Farben die Bilder und ergänzen gezeichnete Fotos und Zeitungsartikel die Geschichte. So sind „Lindbergh“ und „Maulwurfstadt“ stilistisch wunderbar miteinander verbunden. Gleichzeitig bilden diese Elemente Alleinstellungsmerkmale, mit denen sich Kuhlmanns Bücher von der großen, bunten Masse der Bilderbücher abheben und zusammen mit den zeitlosen Geschichten zu einzigartigen Schätzen im heimischen Bücherregal werden.

Fazit:

Mit seinem zweiten Buch „Maulwurfstadt“ hat Torben Kuhlmann eine eindrucksvolle Fabel über unsere moderne Gesellschaft und unseren Umgang mit unserem Planeten geschaffen, die Jung und Alt gleichermaßen begeistern wird. Ein Buch, das in jede gute Hausbibliothek gehört und das ideale Geschenk für Klein und Groß ist – und natürlich für sich selbst.

Torben Kuhlmann: “Maulwurfstadt”, NordSüd Verlag 2015, ISBN: 978-3-314-10274-5