Überall ploppen sie nun wieder auf, die begeisterten Rückblicke auf die Leipziger Buchmesse. Doch dieses Mal nicht bei mir. Zwar war auch ich wieder vor Ort, allerdings fielen diese zwei Tage für mich nicht annähernd so erinnerungswürdig aus wie in vergangenen Jahren. Damit meine ich nicht, dass die Messe grundsätzlich schlecht gewesen wäre: Sehr genossen habe ich das Wiedersehen mit Steffi und Sindy; ich habe mich gefreut, Sabine nun auch offline kennengelernt zu haben und ich stöberte wie immer gern auf der Manga Comic Con. Doch abseits dessen empfand ich die Messe nicht erfüllend. Das hatte nicht den einen bestimmten Grund, sondern ist ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren, die bereits in den letzten zwei Jahren unterschwellig in mir brodelten und in diesem Jahr einfach überliefen.

Quetschen, Schieben, Drängeln, Warten

Als ich vor zwölf oder 13 Jahren erstmals über die Leipziger Buchmesse schlenderte, war diese bereits gut besucht, bot aber selbst am Samstag noch genug Raum und Luft, um ohne Stress und Gedränge durch die Hallen zu streifen. Vor den Damentoiletten mussten wir nie länger als fünf Minuten warten; die Cosplayer konnte man bereits aus größerer Entfernung bestaunen; den Lesungen konnte auch noch aus einigen Metern Entfernung problemlos gelauscht werden und beim Schlendern durch die Hallen bot sich genug Weite, um schnell einen Überblick über die Stände der Verlage und Autoren zu erhalten. Für mich war die Buchmesse dadurch in den ersten Jahren voller Entdeckungen, Licht und entspanntem Flair. Heute brauche ich 30 Minuten, um von Halle 1 in Halle 4 zu gelangen; das Laufen gleicht eher einem Schieben; die Luft ist stickig; vor Toiletten und den bescheidenen zwei Bankautomaten wartet man samstags schon mal 20 Minuten und alles fühlt sich nur noch nach Stress und nicht nach Inspiration oder Genuss an. Die Kostüme der Cosplayer nehme ich mittlerweile leider kaum noch wahr, weil sie in den Menschenmassen zu leicht untergehen und mir erst auffallen, wenn sie direkt vor mir stehen. Den Blick einfach mal in Ruhe über einen Messestand schweifen zu lassen, ist ebenfalls kaum noch möglich, da jegliche Sicht in diesem Gedränge versperrt ist. Hinzu kommt ein ständiges Hintergrundrauschen, das an einen Bienenstock erinnert und das Zuhören bei Lesungen erschwert oder zum Teil sogar unmöglich macht. Das diesjährige Gespräch mit Bernhard Schlink auf dem Blauen Sofa habe ich mir daher bereits nach zwei Minuten freiwillig entgehen lassen, da ich in der schätzungsweise zehnten Reihe kein einziges Wort verstehen konnte – vor rund fünf Jahren konnte ich problemlos den Gesprächen lauschen, während ich 50 Meter weiter in der Warteschlange für eine Signierstunde stand und sich neben mir andere Messebesucher unterhielten.

Ich freue mich, dass die Leipziger Buchmesse so beliebt ist und dass es so viele Lesende in diese schöne Stadt zieht. Doch dieses Mehr an Menschen erfordert auch ein Mehr an Platz und Infrastruktur, das mittlerweile jedoch nicht mehr geboten werden kann – die Parkplätze am Messegelände und in den umliegenden Gebieten sind überfüllt, auf den Autobahnabfahrten steht man für lausige drei Kilometer zweieinhalb Stunden im Stau, die öffentlichen Nahverkehrsmittel gleichen trotz Fahrten im Minutentakt Sardinenbüchsen und an den Garderoben wartet man zum Teil eine Stunde. Sämtliches Personal in und um die Messe steht permanent unter Strom und ich ziehe meinen Hut vor allen, die während dieser Tage nicht ihre Nerven oder ihre Stimmen verlieren. Und trotz stetig erhöhter Sicherheitsmaßnahmen kreist in meinem Kopf seit zwei Jahren die Frage: Was wäre, wenn auf der Messe ein Feuer, eine Massenpanik oder dergleichen ausbräche? Die Antwort, die mein Kopf sich selbst immer wieder darauf gibt, ist ernüchternd.

Leider tickt unsere Welt so, dass für die meisten Menschen nicht Qualität, sondern Quantität zählt; wichtig sind gute Statistiken und Wachstum. Auf welche Kosten dieses Wachstum geht, wird dabei bewusst oder unbewusst ignoriert. Auch die Leipziger Buchmesse hat sich in den vergangenen Jahren regelmäßig mit neuen Besucherrekorden selbst auf die Schulter geklopft.[1] Mir persönlich wäre es jedoch lieber, wenn man sich in Zukunft statt auf weiteres Wachstum auf weitere Lösungen zum Umgang mit diesen steigenden Besucherzahlen konzentrieren würde. Ich vermisse die Zeiten, in denen die Buchmesse nicht durch Enge, Lärm und stickige Luft gekennzeichnet war, sondern durch weite, offene Flächen und Raum zum entspannten, gemütlichen Stöbern.

Was will ich auf der Messe eigentlich?

Wenn ich zur Buchmesse fahre, tue ich das zuallererst als Leserin. Natürlich treffe ich mich vor Ort gern mit Bloggerkolleginnen, allerdings eher für einen privaten Plausch, ein gemeinsames Stöbern und außerhalb irgendwelcher größeren Veranstaltungen. Ich habe kein Interesse mehr an den meisten Bloggerevents, die – wie Steffi es bei unserem Treffen auf den Punkt brachte – oft an Kaffeefahrten erinnern. Ich nutze die Messe auch nicht, um mir im (noch nicht mal eingetretenen) Frühling Verlagsprogramme für den Herbst vorstellen zu lassen oder mich mit Rezensionsexemplaren einzudecken. Ich möchte stattdessen Literatur erleben, das Lesen zelebrieren – als Leserin, als Liebhaberin von Geschichten, denen ich vor Ort auf Lesungen und in Gesprächen lauschen kann. Doch das wird für mich von Jahr zu Jahr schwerer, einerseits aufgrund der wachsenden Menschenmassen, andererseits weil ich seit 2016 beim Blick ins Programm das Gefühl bekommen habe, dass es immer die gleichen Themen, immer die selben Autoren sind, die die Messetage bestimmen. In diesem Jahr gab es keinen einzigen Programmpunkt, für den ich alles andere stehen und liegen gelassen hätte, den ich auf keinen Fall verpassen wollte. Ich habe mich beim Blättern durchs Programm sogar regelrecht gelangweilt. Und die wenigen Programmpunkte, die meine Neugier wecken konnten, fielen vor Ort durchweg enttäuschend aus: weil sie zum Teil unvorbereitet und/ oder unprofessionell wirkten, weil die Beteiligten sich in Insidergesprächen und -witzen verloren, die das Publikum ausschlossen oder weil die Akteure in Palaver ohne Mehrwert verfielen.

Die größte Enttäuschung in diesem Jahr war ein Gespräch des 3sat mit Denis Scheck und Andreas Eschbach über Science Fiction und „die Kraft des Utopischen“. Das Gespräch begann zunächst vielversprechend und ich war positiv überrascht, als sich Denis Scheck für Science Fiction aussprach und kritisierte, dass die meisten Journalisten im Feuilleton unberechtigterweise über diese Form der Literatur die Nase rümpfen. Leider wurde es danach nur noch oberflächlich und unsachlich: Denis Scheck, der schnell die Gesprächsführung übernahm und die anderen kaum zu Wort kommen ließ, stempelte das Internet und überhaupt alle aktuellen technologischen Entwicklungen einfach mal als unnütz ab und stellte die in seinen Augen allgemeingültige These auf, dass doch keiner behaupten könne, dass digitale Medien irgendwem das Leben leichter oder angenehmer gemacht hätten. Die Menschheit hätte vor wenigen Jahrzehnten eine Art technischen und wissenschaftlichen Höhepunkt erreicht, von dem es seither quasi nur noch bergab gehe. Überraschenderweise fand Scheck dafür Zustimmung bei Science Fiction-Autor Eschbach, der den guten alten Karteikasten bevorzuge, weil dieser in seiner Entwicklung einfach perfektioniert sei und sich eben über all die Jahrhunderte bewährt hätte. Wirkliche Argumente lieferten Scheck und Eschbach jedoch nicht, vielmehr beruhten ihre Aussagen auf einem subjektiven „Früher war alles besser und alles Neue ist doof“-Empfinden. So erinnerte das Gespräch nicht an ein Fachgespräch, sondern eher an eine Stammtischrunde. Gefehlt hat hier lediglich noch Dauerpolemiker Manfred Spitzer. Nach 30 Minuten haben Steffi und ich diese Veranstaltung verlassen, weil uns unsere Zeit für eine so undifferenzierte Auseinandersetzung mit nicht unwichtigen Themen zu kostbar war.

Auch außerhalb der Veranstaltungen verlor die Messe inhaltlich an Attraktivität für mich, da Stände verkleinert wurden oder bewährte Angebote wie das Go-Areal auf der MCC wegfielen. Vorfälle im Zusammenhang mit der rechten Szene oder mit respekt- und rücksichtslosem Securitypersonal tun dann noch ihr Übriges, damit ich mich auf der Leipziger Buchmesse nicht mehr heimisch fühle.

Buchliebe – aber nicht um jeden Preis

Nun könnte ich den Stress durch die Massen und das unbefriedigende Programm einfach mit einem gleichgültigen Schulterzucken abtun, schließlich genießen wir Blogger kostenfreien Eintritt. Aber nicht jeder Messebesucher ist Blogger. Denke ich an das normale Publikum, das in jedem Jahr mehr für einen Besuch zahlt (seit meinem ersten Besuch haben sich die Preise etwa verdoppelt) und dabei immer weniger von dem Messebesuch hat, weil es durch das hohe Verkehrsaufkommen stundenlange Anreisen aushalten muss, sich dann durch die erdrückenden Menschenmassen quetschen darf und die Hälfte der Zeit vor Ort in irgendwelchen Warteschlangen zubringt, staune ich darüber, dass es tatsächlich immer wieder so viele zahlende Besucher gibt. Würde ich bei den ständig steigenden Ticketpreisen und unter den aktuellen Rahmenbedingungen als normaler, zahlender Besucher zur Leipziger Buchmesse fahren? Einmal – und nie wieder. Lieber würde ich dieses Geld in einen lang gehegten Buchwunsch oder ein kleineres, lokales Event investieren.

Und nun?

Jahrelang habe ich die Leipziger Buchmesse geliebt, sie war immer eines der Highlights, war euphorisierend, inspirierend, berauschend. In den letzten Jahren haben sich diese Gefühle verloren, ich bin zunehmend enttäuscht, gelangweilt und gestresst von der Messe. In diesem Jahr stand ich mehrfach in der Versuchung, meinen Messebesuch kurzfristig ausfallen zu lassen – allein die geplanten Treffen mit Sindy und Steffi sowie die Aussicht auf die bunte Manga- und Comicvielfalt auf der MCC boten mir Anreize, die Messe aufzusuchen. Doch weder für das eine, noch für das andere bedarf es zwingend einer Messe. In den kommenden Jahren werde ich die Buchmesse nur noch besuchen, wenn ich im Programm ein wirkliches Highlight entdecke oder ich aus familiären Gründen sowieso in der Nähe bin. Ohne konkrete Anreize ist mir die Messe die rund 1.000 km auf Deutschlands Autobahnen nicht wert. Und was die Treffen mit lieben Bloggerkolleginnen Freundinnen angeht: Die besuche ich künftig lieber abseits von Menschenansammlungen und wenn jede von uns ohne konkreten Zeitplan ist, so können wir die gemeinsamen Stunden auch direkt mehr genießen.


[1] Bedingt durch den Schneefall und das Chaos, dem die Deutsche Bahn und die Stadt Leipzig nicht Herr werden konnten, verzeichnete die Leipziger Buchmesse in diesem Jahr ausnahmsweise keinen neuen Besucherrekord. Brechend voll waren die Hallen dennoch.