„Yoko Tsuno“, die Comicreihe des belgischen Künstlers Roger Leloup, war mir bis vor Kurzem völlig unbekannt. Als ich zum Jubiläum von Carlsen Comics auf den Doppelband stieß, wurde ich aber direkt neugierig, versprach die Reihe doch eine selbstbewusste, clevere und toughe Protagonistin. Das und mehr habe ich auch bekommen, auch wenn mich, zugegebenermaßen, nicht alles zu 100 Prozent überzeugen konnte.

Im Two-in-One hat Carlsen Comics für uns den ursprünglich ersten und zweiten Band der Reihe gebündelt, weshalb sich die Jubiläumsausgabe ideal für Neueinsteiger wie mich eignet. Die erste Geschichte bietet dabei die klassische Einführung unserer Helden und das Zusammenfinden des Ermittlerteams um die Japanerin Yoko Tsuno. Yoko ist studierte Elektronikerin und kam ursprünglich nach Europa, um zu forschen – ein Plan, der dann doch nicht wie geplant aufging, sodass Yoko sich nun mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Bei einem dieser Jobs macht sie Bekanntschaft mit dem Fernsehteam Vic Video und Knut Knödel, die sie für ihre nächste Produktion engagieren. Es kommt, was kommen muss: Aus einer scheinbaren Routinereportage entwickelt sich ein Abenteuer, das die Vorstellungskraft sprengt. Plötzlich finden sich Yoko, Vic und Knut in einer unterirdischen Stadt wieder, in der das außerirdische Volk der Vineaner seit über 400.000 Jahren lebt. Nicht jeder dort ist unserem Trio aufgeschlossen und es dauert nicht lang, bis man ihnen nach dem Leben trachtet und Yoko und ihre Freunde auf dunkle Geheimnisse stoßen.

Der zweite Band führt Yoko, Vic und Knut an den Rhein, wo Knuts Schwärmerei für eine hübsche Schiffspassagierin die drei Freunde in einen Fall rund um Mord, Intrigen und die legendäre Teufelsorgel verwickelt.

Die Stärken der „Yoko Tsuno“-Reihe liegen ganz klar in ihrem Facettenreichtum und den ausgefeilten Handlungen. Allein die ersten beiden Bände greifen so unterschiedliche Themen und Genres auf und spielen an völlig gegensätzlichen Orten, funktionieren aber in jedem Setting gleich gut. Beste Voraussetzungen, um eine Serie über lange Zeit abwechslungsreich und spannend zu halten. Langweilig wird es mit Yoko, Vic und Knut garantiert nicht. Daneben überzeugt besonders Roger Leloups detailverliebter Zeichenstil. Hier sind es vor allem die Stadt- und Landschaftsszenen, die durch ihre wirklichkeitsgetreue Abbildung regelrecht greifbar werden und mich als Leserin vom heimischen Lesesessel zur Loreley mitnahmen. Betrachtet man Leloups Darstellung der Burg Katz mit Fotografien, kann man nur staunen angesichts der Detailgenauigkeit, die selbst Unterschiede in der Gesteinsstruktur deutlich machen.

Darüber hinaus sind die starken weiblichen Charaktere zentrales Merkmal der Reihe, denn nicht nur Titelheldin Yoko kann es locker mit den mächtigsten Gegnern aufnehmen, auch die weiblichen Nebencharaktere wie die Vineanerin Khany sind ganz eindeutig diejenigen, die die Dinge im Griff haben und sich beherzt allen Feinden entgegenstellen, um die Menschen und Werte, die ihnen wichtig sind, zu schützen. Im Fall von Titelheldin Yoko Tsuno empfand ich die Coolness und Stärke allerdings manchmal als zu übertrieben, da mir Yoko ein wenig zu sachlich und nüchtern war – eine Prise Humor, Charme oder Emotionen hätten nicht geschadet. Das ist zugegeben noch Geschmackssache, aber auch darüber hinaus ist Yoko zu sehr die perfekte Heldin: Nicht nur ist sie technisch versiert, nein, sie ist auch eine wandelnde Wikipedia, die nach wenigen Sekunden eine Fledermaus zweifellos als Flughund identifiziert, und beherrscht als Japanerin natürlich Judo, Aikido und Meditation, womit sie selbst die stärksten Männer und sogar künstliche Intelligenzen abwehrt. Außergewöhnlich sportlich und kräftig ist sie ebenfalls: So ist es für sie kein Problem, vollständig bekleidet und mit einer ohnmächtigen Person im Arm im Rhein gegen die Strömung zu schwimmen. Genauso mühelos klettert sie in Windeseile im Minirock und mit Absatzschuhen steile Felswände empor; nicht einmal eine verletzte Schulter wird für sie dabei zur Hürde. Puh … Ernsthaft? Ich bin wahrlich keine Leserin, die immer Wert auf höchste Genauigkeit legt und kann über vieles hinwegsehen, aber das überspannt selbst für mich den Bogen. Hier wäre weniger Über-Frau tatsächlich mehr gewesen. Eine starke Frau (oder generell eine starke Persönlichkeit) zu sein, ist schließlich nicht gleichzusetzen mit Makellosigkeit und Immunität.

Nichtsdestotrotz hat mich Roger Leloup mit seinen Abenteuern und dem ’70er Jahre Charme des „seltsamen Trios“, wie Yoko, Knut und Vic sich nach dem ersten Band nennen, für die Reihe gewinnen können und das Two-in-One wird nicht meine letzte Reise mit den drei Freunden gewesen sein.

Fazit:

Abwechslungsreiche Abenteuer, die von der klassischer Detektivgeschichte bis zur Science Fiction reichen; realistische Kulissen und Frauen, die den Männern ausnahmslos die Show stehlen – „Yoko Tsuno“ vereint die richtige Zutaten, die es für einen Comic-Klassiker bedarf. Lediglich bei der titelgebenden Heldin hat es Künstler Roger Leloup ein wenig zu gut mit der Toughness gemeint, was jedoch in keinem Fall ein Grund sein sollte, die Comics nicht zu lesen.

Roger Leloup: „Yoko Tsuno. Two-in-One: Unterirdische Begegnung / Die Orgel des Teufels“, aus dem Französischen übersetzt von Gisela Prüfer, Carlsen Comics 2017, ISBN: 978-3-551-71417-6