Cozy. Spooky. Wow! – Erster Zwischenbericht zu „IT“

von | Mittwoch, 13. September 2017 | Leseprojekte, Leserunde "ES"/ "IT" | 14 Kommentare

Ein bisschen habe ich ja ein schlechtes Gewissen: Nahezu jeder in der Leserunde hat Kings Horrorklassiker bereits beendet oder steckt in einem der letzten beiden Teile. Und ich? Ich stecke wortwörtlich mittendrin, habe erst vor wenigen Tagen den zweiten Teil beendet. Aber, hach, dieses Buch ist einfach so extrem gut, dass ich endlos darin verschwinden könnte – und genau deswegen möchte ich, dass die Lektüre nicht so schnell endet. Also genieße ich ausgiebig.

Unmittelbar nach den ersten Sätzen hatte King mich. Bereits das erste Kapitel, in dem wir den kleinen Georgie und seinen großen Bruder Bill kennenlernen, hat mir gezeigt, warum „IT“ nicht nur zu den besten Werken aus dem King-Kosmos, sondern des gesamten Horrorgenres gezählt wird. Stephen King baut ab der ersten Seite eine unbeschreiblich intensive Spannung und Atmosphäre auf, in der wir die Bedrohung durchweg spüren, während wir gleichzeitig beobachten, wie der kleine Georgie staunend seinem Bruder beim Papierschiffchen-Basteln zusieht, ja, regelrecht zu ihm aufsieht, um anschließend quietschvergnügt dem im Regen schwimmenden Schiffchen hinterherzujagen – seinem Tod entgegen. Was für eine Szene! Ich musste das Buch danach eine Weile beiseitelegen, ich trauerte um Georgie und versuchte, etwas mehr Distanz zu gewinnen.

„‘They float,‘ it growled,
‘they float, Georgie,
and when you´re down here with me, you´ll float, too –‘”
(S. 17)

Nun, das mit der Distanz klappt bei diesem Buch absolut nicht. Denn allein unsere Protagonisten – Bill, Ben, Richie, Eddie, Stan, Mike und Beverly – sind Charaktere, die man einfach lieben muss und die so viel Identifikationspotenzial für jeden bieten, der nie zu den „coolen Kids“ gehörte und wenige, aber dafür umso bessere Freunde hatte. Vor allem Bill, der äußerst verantwortungsbewusst, reif und ernst für sein Alter ist, sowie der übergewichtige, kluge Bücherwurm Ben sind mir außerordentlich ans Herz gewachsen. In Verbindung mit der Zeit, in der die Story spielt, und der Art, wie die Kids ihren Alltag verbringen, bekommt alles etwas Nostalgisches und Vertrautes, ja, fast schon etwas Gemütliches. Plötzlich bin ich als Leserin selbst wieder Kind und möchte mit Beverly und den Jungs draußen toben, spielen, Dämme bauen und um die Häuser ziehen. Doch der Schein dieser unschuldigen Kindheit trügt, denn immer wieder ist ES da, lauert in Parks, an dunklen Orten – und macht selbst vor deinem Zuhause nicht halt!

ES ist das personifizierte Böse, verkörpert deine größten Ängste, bereit, dich zu packen, wenn du nicht damit rechnest. Die Begegnungen mit ES, das hauptsächlich – aber nicht nur – in der Figur des Clowns Pennywise auftritt, sind im Vergleich zu den restlichen Geschehnissen verhältnismäßig kurz, aber dafür umso heftiger. Und mit jeder weiteren Seite gewinnt ES ein wenig mehr Macht, dringt immer weiter in die Welt der Kids und der Leser vor. Kein Wunder also, dass ES eines nachts auch mich in meinem Träumen aufsuchte.

Und die Kinder? Die stellen sich ES trotz allem tapfer und entschlossen entgegen. Mehr als einmal wollte ich sie davon abhalten, etwas zu tun oder irgendwo hinzugehen, wollte sie aus einer lebensbedrohlichen Situation retten – oder mir wie bei einem Film die Augen zuhalten. Funktioniert natürlich nicht.

Doch nicht nur ES sorgt für Horror. Mindestens genauso schockierend empfand ich die generelle Gewalt in Derry, die bereits in der Kindheit anfängt. Immer wieder eskalieren Situationen und offenbaren die Kaltblütigkeit der Mobber und Schläger, die selbst als Kinder nicht davor zurückschrecken, jemanden das Leben nehmen zu wollen. Harter Stoff, den ich als Leserin nur schwer verdauen konnte.

Allein die Horrorelemente, die zeitlosen Themen Freundschaft, Familie, Verlust, Intoleranz und Mobbing sowie die clevere Erzählstruktur machen „IT“ zu einem runden, durchweg überzeugenden Werk. Für den letzten Feinschliff sorgen dann noch die von mir hochgeschätzten Parallelen zu anderen King-Werken wie „Rita Hayworth and Shawshank Redemption“. Kurz: „IT“ ist für mich (King-)Literatur in Perfektion und steht aktuell kurz davor, zu meiner Lieblingsgeschichte aus Kings Feder zu avancieren. Genau deswegen möchte ich noch lange bei Bill und den anderen in Derry bleiben – trotz all der Brutalität und all des Grauens.


Stephen King: „IT“, Hodder and Stoughton 2011, ISBN: 978-1-4447-0786-1

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© Andrea Schmidt/ Leseblick