Während der letzten Wochen fehlte es mir leider an Zeit und Konzentration – nicht nur zum Bloggen, sondern sogar zum Lesen, was bei mir nur selten vorkommt. Aber nun, da es gemächlich auf die Sommerferien zugeht und ich ein paar Tage im Disneyland ganz ausgelassen Kind sein konnte, kehren Konzentration und Zeit zu mir zurück. Bevor ich dieses Wochenende längst überfällige Rezensionen schreibe, nutze ich das momentan gute Freitagswetter für eine neue Runde Freiluftlesen. Auf dem Programm steht ein Titel, der schon fast so lange auf meinem SUB verharrt, wie es diesen Blog gibt – also rund 6 Jahre:

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Bill Brysons „A Walk in the Woods“, das es unlängst auch auf den Silverscreen schaffte, passt gerade bestens zu meiner eigenen Verfassung – meine Füße sind nämlich im Moment ebenso wund gelaufen, wie es Brysons wohl während der im Buch geschilderten Wanderung auf dem Appalachian Trail gewesen sein dürften. Ich kann also bei der gleich folgenden Lektüre bestens mit ihm fühlen.

Update 15.15 Uhr

Zwar bin ich erst auf der zweiten Seite, doch bereits jetzt ahne ich, dass ich mich während Brysons Wanderung köstlich amüsieren werde, denn über seine Motivation, mehr als 2.000 Meilen zu Fuß zurückzulegen, schreibt der Bestseller-Autor:

„When guys in camouflage pants and hunting hats sat around in the Four Aces Diner talking about fearsome things done out of doors I would no longer have to feel like such a cupcake. I wanted a little of that swagger that comes with being able to gaze at a far horizon through eyes of chipped granite and say with a slow, manly sniff, ‚Yeah, I’ve shit in the woods.'“ (S. 12)

Ich lasse das an dieser Stelle unkommentiert und wandere einfach weiter …

Update 17.50 Uhr

Wenn schon Outdoor, dann richtig! Die heiße Schwüle verwandelte sich kurz nach Lektürebeginn in ein krachendes Sommergewitter. Da unser Balkon durch seine Bauweise und Lage einigermaßen geschützt vor Regen ist, nahm ich mir ein Beispiel an Bryson und verblieb trotz deutlich fallender Temperatur und hollywoodreifem Donnergrollen draußen. Rund eine Stunde hielt ich durch, bis der Regen schließlich so schräg einfiel, dass die Buchseiten nicht länger trocken blieben. Währenddessen widmete sich Bill Bryson den Vorbereitungen auf die Wanderung. Vieles erkannte ich aus ähnlichen Erfahrungsberichten wieder: die schockierend gigantische und kostspielige Ausrüstung, das Bewusstwerden über die Gefahren und die kurz vor Aufbruch einsetzenden Zweifel. Aber im Gegensatz beispielsweise zu PCT-Wanderin Cheryl Strayed („Wild“), die mit unfassbarer Naivität, Unwissenheit und Leichtsinnigkeit loswanderte und sich fast ausschließlich in Selbstmitleid badete, hat Bryson sich deutlich besser informiert, vieles genau abgewogen und sich aus Sicherheitsgründen dafür entschieden, nicht allein auf Wanderschaft zu gehen. Während hier in NRW das Gewitter im Sekundenbruchteil zu strahlend blauem Himmel wechselte und ich wieder ins Freie konnte, brach Bryson mit seinem Jugendfreund in die Wildnis auf. Gemeinsam haben wir nun die ersten Kilometer zurückgelegt und die erste Nacht im Freien überstanden. Diese ersten 24 Stunden waren anstrengend, aber Bryson verliert nie den Humor und so muss ich mir fast erneut ins Bewusstsein rufen, dass die Wanderung auf dem Appalachian Trail kein gemütlicher Sonntagsspaziergang ist.

Update 19.30 Uhr

Auf den vergangenen Seiten wurden nicht nur etliche Meilen ohne Murren zurückgelegt, auch so manches Wissenswerte wurde dazugelernt, zum Beispiel wie die Natur durch Rodung Jahrhunderte alter Wälder ruiniert wurde – und zwar nicht nur von Unternehmen, sondern auch durch den United States Forest Service (eine dem US-Landwirtschaftsministerium unterstellte Behörde). Das ist natürlich nichts Neues, aber die Dummheit und Kurzsichtigkeit der Menschen bleibt immer entsetzlich, entsprechend ließ mich auch das Vorgehen des Forest Service kopfschüttelnd zurück.

Wir wandern „dank“ der Zerstörung der Wälder, die Bryson zu Recht als Vergewaltigung bezeichnet, also lediglich durch den Schatten dessen, was einst ein gewaltiges, flächendeckendes Waldgebiet war. Interessant ist das Wandern dennoch und es ist überraschenderweise nicht so einsam, wie erwartet, da auf dem Appalachian Trail viele Wanderer zeitgleich unterwegs sind. Manche von ihnen sind allerdings durchaus „speziell“ und wecken die Sehnsucht nach Ruhe – so zum Beispiel die pausenlos redende und alles besser zu wissen meinende Mary Ellen, die sich ungefragt unserem Wandertrupp anschließt, was Bryson wie folgt kommentiert:

„I have long known that it is part of God’s plan for me to spend a little time with each of the most stupid people on earth, and Mary Ellen was proof that even in the Appalachian woods I would not be spared.“ (S. 74)

Doch trotz dieser anstrengenden Weggefährtin und der Strapazen des Wanderns ist die Motivation ungebrochen, ja, sogar stärker als zu Beginn. Auch sind Bryson und sein Jugendfreund Katz schnell zu einem eingespielten Team geworden, obwohl sie gänzlich unterschiedliche Konditionen und Tempi haben. Im Moment scheint der Trip also noch verhältnismäßig angenehm zu werden, doch wer weiß, welche Gefahren bevorstehen – und wie lange wir Mary Ellen ertragen müssen…

Das werde ich jedoch während einer anderen Freiluftlesen-Runde herausfinden, denn das Gewitter kehrt zurück und mein Hals macht mir gerade deutlich, dass der häufige Wechsel zwischen Hitze und Zug- oder Klimaanlagenluft während der letzten Tage nicht klug war. Ich ziehe meine Wanderschuhe nun aus und pausiere ein paar Tage.

Bill Bryson: „A Walk in the Woods“, Black Swan 1998, ISBN: 0-552-99702-1