A Lion Among Men_Maguire
„We start out in identical perfection: bright, reflective, full of sun. The accident of our lives bruises us into dirty individuality. We meet with grief. Our character dulls and tarnishes. We meet with guilt. We know, we know: the price of living is corruption. There isn’t as much light as there once was. In the grave we lapse back into undifferentiated sameness.“

(Gregory Maguire: „A Lion Among Men“, headline review 2009, S. 9)

 

Ein halbes Jahr ist es nun her, seit ich mit „Son of Witch“ den zweiten Band von Gregory Maguires Wicked Years-Reihe beendete. Nach ein paar Monaten Verschnaufpause in Folge des enttäuschenden Leseerlebnisses, nahm ich mir im März endlich den dritten Band der Serie vor, denn ich liebe das von Maguire geschaffene Oz einfach zu sehr, um Reisen dorthin zu unterlassen.

„A Lion Among Men“ erwies sich dabei als interessanter als „Son of a Witch“, auch wenn es nicht mit dem Serienauftakt „Wicked“ mithalten kann und ich es nur wenigen Lesern empfehlen würde.

„Any one of a thousand chance encounters might be the chance of a lifetime. Or a deathtime.“

(Gregory Maguire: „A Lion Among Men“, headline review 2009, S. 209)

Im dritten Band der Reihe steht – wie der Titel bereits suggeriert – der Feige Löwe im Mittelpunkt. Wobei die Sache mit der Feigheit so ein Fall für sich ist, denn so richtig feige ist der Löwe gar nicht, sondern wird oftmals nur als Feigling dargestellt und er ist aufgrund vieler negativer Erfahrungen vorsichtig geworden; er versucht, es allen irgendwie recht zu machen – woran er natürlich immer wieder scheitert. Das liegt zum Teil daran, dass der Löwe vollkommen allein aufwuchs und sich alles selbst beibringen musste. Es gab niemanden, der ihm etwas erklärte, niemanden, der ihm Familie war. Wiederholte Versuche, sich anderen Löwen- und Tigerrudeln anzuschließen, enden ernüchternd. Der Löwe war, ist und bleibt überall ein Außenseiter – doch nicht nur wegen seines Einzelgängerstatus, sondern auch weil er zum Opfer von Politik und Gesellschaft wird. Da sich Elphaba, die böse Hexe des Westens, für ihn stark machte, als er noch ein Löwenjunges war, betrachtet man ihn als Feind des Zaubereres; doch kaum ist der Zauberer aus Oz verschwunden, wird der Löwe als sein Verbündeter verachtet, da er mit Dorothy und den anderen im Auftrag des nun wenig geschätzten Zauberers unterwegs war. Zeit seines Lebens gerät der Löwe immer wieder in solche Dilemmas, wird mal als Held gefeiert, um kurz darauf von den selben Menschen und Tieren für dieselben Taten als Feigling und Kollaborateur kritisiert und verspottet zu werden. So ist es auch wenig verwunderlich, dass der Löwe, der sich übrigens selbst den Namen Brrr gab, im Laufe seines Lebens verbittert und zynisch geworden ist. Mit dieser Anti-Haltung gegen die Welt begegnen wir ihm zu Beginn des Buches, als er im Kloster von Sankt Glinda auftaucht, um mit der mysteriösen Yackle zu sprechen. Im Auftrag des Herrschers von Oz – Elphabas jüngeren Bruder – soll er die alte Frau zu Elphaba, Liir und Madame Morrible befragen, um herauszufinden, ob Liir wirklich Elphabas Sohn ist und wo das mächtige Grimmerie zu finden ist. Yackle, die eigentlich nur noch sterben will, aber einfach nicht sterben kann, erweist sich ihm gegenüber als schlagfertige und mindestens ebenso zynische Gesprächspartnerin. Sie ist bereit, ihm zu sagen, was sie weiß, doch im Gegenzug soll auch er etwas von sich preisgeben. So entspinnt sich ein Dialog, der Yackles und Brrrs Leben vor dem Leser ausbreitet. Zugegeben, diese Leben warten mit wenig geballter Spannung oder spektakulären Enthüllungen auf, aber wer einfach mehr über die geheimnisvolle Yackle und den Feigen Löwen erfahren möchte, wird hier fündig.

„A Lion Among Men“ ist kein Roman, der einem klassischen Spannungsbogen folgt, es ist vielmehr ein literarischer und komplexer Ausflug nach Oz. Zwar ist das Buch nicht annähernd so vielschichtig wie „Wicked“, doch mindestens ebenso politisch. Der dritte Band der Reihe greift die im ersten Band wichtige Diskussion um die Rechte der Tiere in Oz auf, aber widmet sich auch anderen politischen und gesellschaftlichen Fragestellungen, allen voran dem herrschenden Krieg zwischen den Munchkinländern und der Armee des Herrschers von Oz. Sogar Finanzpolitik und Bankenwesen finden Platz in dieser Geschichte. „A Lion Among Men“ liest man demnach auch nicht auf der Suche nach kongenialen Fantasywelten, Magie oder Action. Der Roman dürfte stattdessen nur etwas für Hardcore-Oz-Fans sein und selbst hier wohl nur für jene, die von dem düsteren, politisch- und religiös-aufgewühlten Oz fasziniert sind, das Gregory Maguire erschuf. Was ich dem Autor aber sehr zu Gute halten muss: Mir ist bislang noch kein Fantasyroman untergekommen, der Themen aus Politik, Religion, Gesellschaft und Folklore so intelligent, tiefgründig und authentisch in eine Fantasywelt einflicht, wie es Maguire in seiner Wicked Years-Reihe tut. Gäbe es die sprechenden Tiere und die Magie rund um das Grimmerie, Elphaba und die Uhr des Zeitdrachen nicht und würde man die Orte einfach anders benennen, so würde man wohl kaum merken, dass es sich um Fantasy handelt. Das macht Maguires Bücher für mich zu den anspruchsvollsten im Fantasy-Genre und ich würdige Maguires Arbeit sehr, auch wenn „A Lion Among Men“ und „Son of a Witch“ aus dramaturgischer Sicht wohl nur den Geschmack weniger Leser treffen dürften.

„‚Oh, the Scarecrow’s not smart enough to be devious,‘ said the Lion.

‚Stupidity is as dangerous as cleverness,‘ retorted the Ape.

‚More so,‘ said the Boar.“

(Gregory Maguire: „A Lion Among Men“, headline review 2009, S. 239)

Was Maguires Bücher – und auch „A Lion Among Men“ – auszeichnet, ist sein geniales, ausgefeiltes World Building. Maguire schafft komplexe Welten, die auch über die einzelnen Bände hinweg stimmig sind und in denen er immer wieder Fäden vorangegangener Bände aufgreift. Zwar gibt es in „A Lion Among Men“ Aspekte, die sich nicht mit L. Frank Baums Oz-Geschichten überschneiden – beispielsweise verläuft sich die Freundschaft des Löwen mit der Vogelscheuche, Dorothy und dem Blechmann schnell im Sande – doch erstens ignorierte L. Frank Baum selbst jegliche Continuity in seinen Oz-Bänden und zweitens sind Maguires Ideen weit realistischer und zumindest in „seinem“ Oz in sich schlüssig.

Vor diesem Hintergrund war es dann auch der Schluss von „A Lion Among Men“, der mich als Oz-Reisende richtig gepackt hat. Hier lässt Maguire Figuren aufeinandertreffen, die regelmäßig Auftritte in Elphabas Leben hatten und mit ihrem Schicksal verbunden sind; es gibt ein Wiedersehen mit Nor, nach der Liir in „Son of a Witch“ vergeblich suchte; und es wird so manches über Yackle, den Löwen, das Grimmerie, Fiyeros Tod und Elphabas Erbe enthüllt. Viele Kreise schließen sich, lange offen gebliebene Fragen werden beantwortet. Kurz: Die letzten 50 Seiten haben es noch einmal richtig in sich! Sie waren für mich das Highlight des Bandes und haben mich zurück in Elphabas frühe Jahre zurückkatapultiert. Damit hat mich Gregory Maguire natürlich ziemlich angefixt, alsbald den vierten und letzten Band der Reihe („Out of Oz“) zu lesen. Also runter damit vom SUB!

 

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