To Kill A Mockingbird_Anniversary Edition

Heute vor genau einem Monat habe ich euch darüber informiert, dass Steffi alias MissBooleana und ich gemeinsam Harper Lees „To Kill a Mockingbird“ („Wer die Nachtigall stört“) lesen. Während sich meine liebe Bloggerkollegin schnell auf den Flügeln der Spottdrossel davontragen ließ und bereits vor 2,5 Wochen ein Zwischenfazit zu den ersten 100 Seiten zog, brauchte ich ein wenig länger – aber das passt eigentlich ganz gut zur Zeit, in der die Handlung spielt, denn im Alabama der ’30er Jahre ist von Hektik einfach keine Spur. Stattdessen erleben Steffi und ich zunächst eine regelrechte Kleinstadtidylle: Im verschlafenen Örtchen Maycomb kennt jeder jeden, wenn einer Probleme hat, stehen ihm alle Nachbarn zur Seite, die Kinder verbringen die Sommer mit Klettern, dem Spielen selbsterfundener Geschichten und dem Nachahmen ihrer Nachbarn – wobei ihnen Letzteres auch schon mal Ärger einbrockt, denn die Geschwister Jem und Scout Finch greifen dabei die fiesen Gerüchte über ihren mysteriösen Nachbarn Arthur „Boo“ Radley auf. Kurzum: In der Kleinstadt in Alabama ist eine Kindheit noch unbeschwert, erfüllt von Fantasie und Geborgenheit.

In diese Idylle entführt uns Harper Lee im ersten Drittel des Buches und ich persönlich war überrascht, wie viel Zeit und Detailreichtum Harper Lee dafür aufwendet: Bei einem doch recht dünnen Buch, das als Klassiker gilt und in erster Linie mit dem Thematisieren von Rassismus assoziiert wird, ging ich ursprünglich davon aus, dass „To Kill a Mockingbird“ seine Leser ziemlich schnell zu diesem ernsten Thema führt – tatsächlich kommt der Fall, der das Leben der Familie Finch so stark prägen wird, erst jetzt ins Rollen. Vorher verspielten wir zwei Sommer mit Jem, Scout und ihrem Freund Dill, lernten die Bewohner Maycombs kennen und begegneten mit Atticus Finch einem Vater, der regelrecht über-idealisiert porträtiert wird: Atticus Finch scheint nicht nur ein hervorragender (alleinerziehender) Vater, sondern ein durch und durch perfekter, selbstloser und großherziger Mensch zu sein. Mich lässt das bisher ein wenig zwiespältig zurück, denn einerseits wird es mir als Leserin schwer gemacht, Atticus nicht zu mögen, andererseits ist Atticus aber durch seine Unfehlbarkeit ein wenig realistischer Charakter. Ich bin gespannt, wie sich das noch im weiteren Verlauf der Geschichte entwickeln wird. MissBooleana jedenfalls hat mit Atticus‘ Vollkommenheit weniger Probleme als ich ;) :

 

Andererseits wünschte ich, es gäbe mehr Menschen wie Atticus Finch (ich ahne schon die Empörung Deutschlands „besorgter Bürger“ über all diese „Gutmenschen“ – „To Kill a Mockingbird“ weckt erstaunliche Assoziationen zur gegenwärtigen politischen Situation in Europa).  

 

Aber genau das macht ein Buch ja auch zu einem Klassiker: die Übertragbarkeit, die Zeitlosigkeit, die Themen und Muster, die sich im Verlauf der Menschheitsgeschichte immer wiederholen. Nicht zuletzt steckt ein Klassiker aber auch immer voller kleiner Weisheiten:    

 

Doch wie ich schon eingangs erwähnte, geht es in der Kleinstadt in Alabama nicht immer ernst zu, sondern oft auch unbeschwert. Die kleine Scout geht noch recht unbedarft und naiv an alles heran und versteht daher nicht immer die Welt um sich herum – egal, ob es dabei um Strip-Poker geht …

 

… oder um so etwas Natürliches – wenn auch in Alabama eher Seltenes – wie Schnee.    

 

So manches erinnert dabei an die eigene Kindheit, beispielsweise wenn der große Bruder über Schule aufklärt …    

 

… oder die kleine Schwester sich in den Augen des Bruders wie ein überbesorgtes, typisches Mädchen aufführt.    

 

Dann wiederum gibt es aber auch Dinge, bei denen die Leserin denkt: „Zum Glück haben sich die Zeiten geändert.“

 

All diesen kleinen schönen Lesemomenten zum Trotz muss ich jedoch gestehen, dass mich „To Kill a Mockingbird“ bisher noch nicht so sehr in seinen Bann gezogen hat, wie ich es vermutet hatte. Hin und weg bin ich lediglich von dem fantastischen Südstaaten-Slang, den ich in der US-Literatur so gerne lese.

An dieser Stelle auch gleich eine Frage an alle, die die deutsche Übersetzung von „To Kill a Mockingbird“ (und „Go Set a Watchman“) gelesen haben:

Ist der Südstaaten-Slang in den deutsprachigen Ausgaben herauszulesen?

Dank LovelyBooks habe ich seit Kurzem die deutsche Übersetzung von „Go Set a Watchman“ („Gehe hin, stelle einen Wächter“) auf dem SUB. Beim ersten Durchblättern konnte ich an keiner einzigen Stelle so etwas wie Slang herauslesen; ich kann mir jedoch nicht vorstellen, dass Harper Lee in diesem Roman auf den Südstaaten-Slang verzichtet hat. Daher interessiert mich gerade sehr, wie die Übersetzer der beiden Werke das „Slang-Problem“ gelöst haben.

© MissBooleana

Neben der Slang-Frage wunder(te)n MissBooleana und ich uns auch darüber, dass man im deutschsprachigen Raum aus der Spottdrossel (Mockingbird) ein Nachtigall gemacht hat. Offizielle Informationen konnten wir dazu bisher nicht ausfindig machen, doch wird von allen anderen Lesern vermutet, dass es damit zusammenhängt, dass die Spottdrossel in Europa nicht beheimatet ist und den hiesigen Lesern damit nichts bzw. nur wenig sagen würde. Mit dieser möglichen Antwort müssen wir uns wohl begnügen. Für uns singt jedoch weiterhin die Spottdrossel unter der Sonne Alabamas.

Verfolgen könnt ihr MissBooleanas und meinen Ausflug nach Maycomb auf Twitter unter dem Hashtag #ToReadAMockingbird.