King_Böser kleiner JungeVor Jahren wurde George Hallas wegen des Mordes an einem Kind zum Tode verurteilt. Nun steht seine Hinrichtung unmittelbar bevor und sein Pflichtverteidiger Leonard Bradley besucht ihn ein letztes Mal. Bradley geht ohne Erwartungen an dieses letzte Gespräch heran: In all den Gesprächen während der Jahre der Haft hat George Hallas kaum ein Wort gesagt. Doch dieser Besuchstag ist anders: George beginnt zu reden. Erstmals erzählt er jemandem, warum er den kleinen Jungen mit der Propellermütze damals erschoss – und die Geschichte, die er seinem Pflichtverteidiger offenbart, erscheint unglaublich, denn George Hallas‘ Opfer soll kein normaler Junge, ja, wohl nicht mal ein Mensch gewesen sein …

Stephen King hat die Kurzgeschichte „Böser kleiner Junge“ exklusiv für seine deutsch- und französischsprachigen Leser geschrieben – als Dankeschön für die herzlichen Empfänge während seiner Lesereise durch Deutschland und Frankreich im Herbst 2013. Nach der Lektüre des E-Books muss ich sagen: Eigentlich schade, dass die Geschichte von George Hallas nur einem kleinen Teil der weltweiten Fans des Autors zugänglich ist. Denn „Böser kleiner Junge“ ist klassischer King-Horror! Die Geschichte wird uns abwechselnd von einem auktorialen Erzähler, der die Geschehnisse im Gefängnis schildert, und George Hallas als Ich-Erzähler während der Rückblenden berichtet. Dadurch kommt der Leser einerseits Hallas‘ Emotionen und Gedanken nahe genug, um sein Handeln nachzuvollziehen, andererseits gewährt King auf diese Weise immer wieder einen Abstand, der den Leser genau wie Verteidiger Leonard Bradley an Hallas‘ Aussagen zweifeln lässt und ermöglicht, die Geschehnisse nach der Hinrichtung mitzuerleben. Auch sonst beweist der Autor wieder einmal, warum seine Bücher so erfolgreich sind. King hält die perfekte Balance zwischen der bei Kurzgeschichten notwendigen Konzentration auf das Wesentliche und einem guten Maß an Details und Hintergründen, um die Erzählung authentisch zu machen und dem Leser das Gefühl zu geben, selbst Nebencharaktere gut zu kennen. Zwar ist schnell klar, worauf die Geschichte hinausläuft und auch das Ende kommt wenig überraschend, dennoch bleibt die Spannung während der ganzen Erzählung durchweg erhalten und man liest gebannt vom ersten bis zum letzten Satz – nicht zuletzt durch Stephen Kings lebendige Schilderung der Ereignisse: Beim Lesen hört man das merkwürdige Lachen des kleinen Jungen, sieht sein pummeliges Gesicht mit dem hinterhältigen Grinsen und gruselt sich unweigerlich vor diesem Kind, das aus dem Nichts auftauchen zu scheint.

Einziger Wermutstropfen der Geschichte ist ein inhaltlicher Fehler: George Hallas ist 1969 geboren. Ein Ereignis während seines Studiums datiert er jedoch auf das Jahr 2000 – zu diesem Zeitpunkt wäre er also etwa 31 Jahre alt gewesen, obwohl seit einem Erlebnis im Alter von neun Jahren nur ungefähr ein Jahrzehnt vergangen sein soll. In einer Kurzgeschichte hätte ein solcher Fehler eigentlich jedem Lektor sofort ins Auge stechen müssen, weshalb ich mich beim Lesen auch kurz geärgert habe. Der großartigen Geschichte an sich tut dieser Schnitzer aber natürlich keinen Abbruch – bei der Lektüre von „Böser kleiner Junge“ solltet ihr also einfach tolerant über diese Unstimmigkeit hinweg sehen.

Fazit:
Die Kurzgeschichte „Böser kleiner Junge“ ist eine klassische, aber grandiose Horrorstory in guter, alter King-Manier, nach deren Lektüre man kleine, dicke, rothaarige Jungen wohl nie wieder so sehen wird wie zuvor!