Drache im EiSeit einiger Zeit ist die junge Dycra nun krank und regelmäßig macht sie sich deshalb auf den Weg zur Zauberin Emeryllis – immer in der Morgendämmerung, wenn der Rest des Dorfes noch schläft. Denn hier soll niemand von Dycras Erkrankung erfahren. Doch diese Geheimnistuerei kann nicht ewig gut gehen und schließlich gesteht das Mädchen der Dorfgemeinschaft ihr Leiden. Entgegen der Befürchtungen von Dycras Mutter nehmen die anderen Frauen Anteil an ihrem Schicksal, leisten Beistand und unterstützen sie. Das nur von Frauen und Mädchen bewohnte Dorf ist geprägt von starkem Zusammenhalt und so ist es für alle selbstverständlich, Dycra mit ihrer Last nicht allein zu lassen. Alle sind wie eine große Familie, in der jeder gleichberechtigt ist, aber auch jeder mit anpacken muss:  Es wird gemeinsam gekocht, Kleidung hergestellt und auf die Kinder aufgepasst. Stark, selbstbewusst und unabhängig wirken die Frauen. Zweimal im Jahr wird diese Struktur jedoch gebrochen. Wenn im Frühjahr und Herbst die Männer das Dorf aufsuchen, verändern sich Mädchen und Frauen, unterwerfen sich und hoffen, dass einer der Männer sie auswählt. Dycra fällt es schwer, dies zu verstehen und mit jedem weiteren Besuch der Männer, nimmt sie mehr und mehr die Position einer Außenseiterin ein. Es widerstrebt ihr, sich diesen Erwartungen der Gesellschaft unterzuordnen, sich selbst aufzugeben und den Männern zu unterwerfen, die die Frauen nur für ihre eigenen Gelüste benutzen.

Eines Tages kommt es bei Dycra zu einem starken Ausbruch ihrer Krankheit. Aufgrund der Ansteckungsgefahr und der Anwesenheit der Männer, wird das Mädchen dazu gezwungen, den Ort zu verlassen. Krank und allein macht sich Dycra auf den Weg – alles, was zum Überleben notwendig ist, trägt sie in einem Wagen mit sich herum. Ziel ist ein bestimmter Baum im Wald, der ihr künftig als Obhut dienen soll. Hier gelingt es Dycra nicht nur, sich von ihrer Krankheit zu erholen, sondern auch ein ganz neues, stärkeres Ich zu entdecken. Die Wochen im Wald werden sie auf eine Art und Weise verändern, wie sie es nicht für möglich gehalten hätte und es scheint, als würde ihr Leben nun erst richtig beginnen …

„Drache im Ei“ ist eine Geschichte mit sehr ruhigem Erzählstil. Elvira Stecher gibt dem Leser viel Zeit, Dycras Welt kennenzulernen. Der Leser erfährt auf diese Weise viel über die Strukturen der Gesellschaft sowie über Dycras Vergangenheit. Die Handlung selbst wird dabei größtenteils beschrieben oder durch Gedanken Dycras erfahrbar – Dialoge gibt es wenige. Zudem nutzt Elvira Stecher eine sehr bildliche Sprache und legt einen besonderen Fokus auf die Natur, die in Dycras Welt eine wichtige Rolle spielt. Das gibt dem Leser ein großes, detailliertes Gesamtbild, nimmt der Geschichte aber auch sehr viel Geschwindigkeit. „Drache im Ei“ ist keine Erzählung, die man in einem Rutsch schnell weg liest, sondern für die es Zeit benötigt. Diese Ruhe muss man mögen, um sich auf die Geschichte wirklich einlassen zu können.

Dass Elvira Stecher dem Leser so viel Zeit gibt, mit der von ihr geschaffenen Welt vertraut zu werden, hat seinen Grund: Am 1. März dieses Jahres erscheint die Fortsetzung „Stadt des flüsternden Steins“. „Drache im Ei“ hat dafür einen Auftakt geliefert, der eine sehr ausführliche Einleitung ist und die Grundsteine für all die Abenteuer legt, die auf die neue Dycra warten.

Fazit:

Elvira Stechers „Drache im Ei“ erzählt von Selbstfindung, Veränderungen, den Glauben an sich selbst und nicht zuletzt von einer Magie, deren Basis in der Natur und dem Menschen selbst liegt. Das E-Book ist dabei trotz des Umfangs von nur 117 Normseiten keine Lektüre für zwischendurch, sondern richtet sich an Leser, die die leisen und ruhigen Töne in Geschichten schätzen.