Seit nunmehr einem Jahr lebt Ronar bei den Elthen. Das Volk behandelt ihn wie einen der ihren und der gutherzige Herrscher Athanian lehrt Ronar alles, was das Leben bei den Elthen ausmacht. Für den inzwischen 13-Jährigen ist der weise Elthe wie ein Vater. Doch obwohl Ronar von Athanians Volk so großmütig aufgenommen wurde, leidet der Junge immer wieder an Selbstzweifeln und hat Angst davor, irgendwann – wie in seiner bisherigen Kindheit – auf Unverständnis oder gar Spott zu stoßen. Zudem geht es Athanian seit geraumer Zeit immer schlechter. Der von seinem ganzen Volk hoch geschätzte Herrscher spielt anfänglich alles herunter, versucht, sich nichts anmerken zu lassen. Doch Ronar bleiben die Qualen seines neuen Ziehvaters nicht verborgen und auch dem Elthenvolk wird die Krankheit seines Herrschers bald bewusst. Da ist es allerdings fast schon zu spät. Athanian bricht zusammen und keiner weiß, wie ihm geholfen werden kann. Nach vielem Bangen und Grübeln wird Athanian klar, dass es nur eine Hoffnung auf Rettung gibt: Er und Ronar müssen Elaran – einst Athanians bester Freund und Ronars Vater – aufsuchen. Dazu muss der kranke Elthenherrscher jedoch seinen Körper verlassen und gemeinsam mit Ronar eine gefährliche Reise antreten, die sie nicht nur bis auf den Mond, sondern auch durch Raum und Zeit führen wird.

Kaum haben sich Ronar und Athanian auf den Weg gemacht, hält auch schon die nächste Bedrohung Einzug ins Elthenreich: Der König von Sienten, der bereits vor 15 Jahren gegen das Volk kämpfte und unzählige Elthenleben zerstörte, greift das Land an und versucht, die magische Elthenkrone an sich zu reißen. Als vorübergehender Herrscher trägt Athanians Sohn Avenor die Verantwortung: Eine falsche Entscheidung könnte den Untergang des ganzen Volkes bedeuten – eine schier untragbare Bürde für den noch jungen Elthen.

Die Geschichte des Findeljungen Ronar hat sich vom ersten zum zweiten Band stark weiterentwickelt. Zwar erscheint es zu Beginn, als würde Ronar sich zu seinem alten, von Selbstzweifeln überhäuften Ich zurückentwickeln, jedoch wächst er im weiteren Verlauf regelrecht über sich hinaus. Auch seine Kräfte sind seit dem Sieg gegen seinen eigenen Vater erheblich stärker geworden. Doch sein Vater Elaran hat sich ebenfalls weiter entwickelt: Wer hätte schon während des ersten „Ronar“-Bandes geahnt, dass aus dem rachsüchtigen, kaltherzigen König eine reuevolle, selbstlose Person werden könnte? Die Bösen nicht einfach nur als böse, herzlos und hinterhältig darzustellen, ist etwas, das nur wenigen Autoren gelingt bzw. das nur die wenigsten versuchen. Anke Höhl-Kayser schafft es jedoch, den ursprünglichen Antagonisten zum Positiven weiterzuentwickeln und ihm eine eigene Geschichte zu geben. Als Leser versteht man die Beweggründe des Schwarzen Königs zunehmend, empfindet Mitleid und sogar Sympathie. Man bekommt ein gutes Gefühl dafür, wie Elaran als Elthe einst gewesen ist und wie die Freundschaft zwischen ihm und Athanian aussah.

Doch nicht nur die Charaktere entwickeln sich weiter, auch die Geschichte an sich zeigt neue Facetten auf. So gibt es nun zwei parallele Handlungen und der Leser wird durch verschiedene Welten und Zeiten geschickt, bis hinein ins heutige London. Anfangs erscheint dies vielleicht irritierend und man fragt sich, wie sich solche Elemente in die Geschichte einfügen. Doch sie erweisen sich als wichtiger Teil der Handlung, treiben diese voran und rücken die Geschichte Ronars und der Elthen in ein völlig neues Licht. Ein weiterer positiver Nebeneffekt: Der Handlungsverlauf ist alles andere als vorhersagbar und so bleibt es immer spannend, wo die Geschichte hinführen wird und welche Lösung sich Anke Höhl-Kayser für die elthischen Probleme erdacht hat.

Ein hervorragender Kunstgriff sind die Verknüpfungen zum ersten Band. So sind einige Motive auch in „Ronar. Zwei Welten“ wiederzufinden, beispielsweise taucht das Symbol der Amsel immer wieder auf und schlägt eine Brücke zu den Ereignissen des Vorgängerbandes. Auch einige Fragen, die nach dem ersten Band offen blieben, werden in „Ronar. Zwei Welten“ beantwortet.

Bedeutende Elemente in der Fortsetzung von Ronars Geschichte sind wieder die Natur und die bildliche Sprache. Bei der Schilderung des Meeres und des Weltraumes sieht man beides vor dem geistigen Auge auftauchen. Jedes kleinste Detail wird lebendig, selbst der Wind oder das Rauschen der Brandung werden spürbar. Besonders positiv hervorgehoben sei hier Ronars und Athanians kurzer Aufenthalt bei der Kapitänsfamilie. Obwohl es sich hier nur um einen kleinen Part im Verlauf der Geschichte handelt, schließt man die Familie – genau wie auch Ronar es tut – sehr schnell ins Herz. Es ist eine Familie voller Liebe und Wärme und die Schilderung des friesischen Hauses wirkt so authentisch und einladend, dass man auch als Leser hier liebend gerne Gast wäre.

Fazit:

„Ronar. Zwei Welten“ schlägt völlig neue, unerwartete Wege ein und bleibt dabei doch seinen Grundsätzen treu. Wieder sind es die liebevoll gezeichnete Natur und die lebendige Schilderung von Ronars und Athanians Lebenswirklichkeit, die überzeugen. Alles – von der Handlung bis zu den sprachlichen Mitteln – ist wohl durchdacht, wirkt aber nie kalkuliert, sondern immer authentisch. Eine Geschichte wie Ronars sucht man auf dem gängigen, aktuellen Fantasy-Markt vergebens und der Leser merkt schnell, dass hier kein Hobby-Schriftsteller am Werk war, sondern eine Autorin, die sich der Bedeutung stilistischer und erzählerischer Mittel deutlich bewusst ist und diese dementsprechend gekonnt einsetzt.

Ein wieder einmal großes Dankeschön für das Rezensionsexemplar geht an Anke Höhl-Kayser!

PS: Die Rezension zu Band 1 „Ronar“ findet ihr hier. In meinem Interview mit Anke Höhl-Kayser erhaltet ihr zudem mehr Informationen zur Autorin und ihren Büchern.