Die junge Katie ist schwanger. Doch außer ihr weiß niemand davon und so ist sie mitten in der Nacht auf sich allein gestellt, als ihr kleiner Sohn in der Scheune ihrer Familie zur Welt kommt. Gleich nach der Geburt schläft Katie mit dem Jungen im Arm ein, als sie aufwacht, ist das Kind weg. Katie ist verwirrt, aber als Amische vertraut sie auf die Allmacht Gottes und hält dies für ein Wunder … Bis das Kind am nächsten Morgen tot aufgefunden wird. Die Polizei nimmt die Ermittlung sofort auf und kurz darauf ist Katie die Hauptverdächtige  – sie soll ihr Neugeborenes ermordet haben. Katie leugnet vehement, ihren Sohn ermordertzu haben. Allerdings leugnet sie auch, jemals schwanger gewesen zu sein!

Es kommt zum Prozess und Katies entfernte Verwandte Ellie – knallharte Anwältin und ein durch und durch moderner Stadtmensch – wird zur Verteidigerin der jungen Amisch-Frau. Sie zieht auf die Farm der Familie und muss künftig auf allen Komfort wie Strom, Autos und mehr verzichten. Doch nicht nur die technischen Einschränkungen machen Ellie die Arbeit schwer: Katie leugnet weiterhin alles und behauptet, sich an nichts erinnern zu können, während die Beweislage eindeutig gegen sie spricht. Damit triebt sie Ellie nicht selten an den Rand der Verzweiflung. Zu allem Überfluss steht diese auch an einem Wendepunkt ihres Lebens – sie muss sich nicht über ihre Gefühle zu ihrem aktuellen Partner und ihrer Jugendliebe klar werden, sondern wird auch mit ihrem eigenen Kinderwunsch konfrontiert.

Jodi Picoult ist ein packender Roman gelungen, dessen Charaktere und Lebensstile unterschiedlicher nicht sein könnten. Jede Person hat ihre Prinzipien, an denen sie festhält und doch entwickeln sich die Charaktere im Laufe der Geschichte stark weiter, das gilt besonders für Ellie, die mir zu Beginn  ein wenig unsympathisch war. Im Laufe der Handlung gab es etliche Momente, in denen ich sie einfach nur wachrütteln wollte, besonders wenn es um ihre Beziehung zu ihrer Jugendliebe Coop. Er ist so ein toller Mann, der alles für sie tut und schon immer sein Leben mit ihr teilen wollte. Er hat einfach alles, was frau sich wünschen kann – und Ellie? Die stößt ihn einfach aus Egoismus und Selbstschutz von sich weg.  Ja, ich hätte gerne ins Geschehen eingegriffen. Allerdings muss ich auch zugeben, dass es mir im Roman zu oft und zu intensiv um Ellie ging. Sie war auch die einzige Person, bei der Picoult aus der Ich-Perspektive schrieb – ansonsten kam nur der personelle Erzähler zum Wort. Ich hätte mir gewünscht, dass der Fokus auf Katies Geschichte bleibt und Ellies Privatleben eher Nebenhandlung geblieben wäre. Generell hätte es mehr Einblicke in andere Charaktere geben können, dies gilt vor allem für Katies Vater. Zu gern hätte ich gewusste, ob er wirklich so hart, streng und kalt ist, wie er immer tut, ob es einen Grund für sein abweisendens Verhalten gibt und was er empfindet. Doch er bleibt für den Leser genauso undurchschaubar und unberührbar wie für die Charaktere des Romans.

Selbst Katie bleibt recht distanziert für den Leser, was ich sehr schade fand. Ihre Erinnerungen und Gefühle hätten noch mehr sein können – so konnte ich aber leider keine große Beziehung zu ihr aufbauen. Ein positiver Nebeneffekt dessen war allerdings, dass auch der Leser so bis zum Schluss im Unklaren über die Geschehnisse der Geburtsnacht bleibt. Genau wie Ellie erhält der Leser nur bruchstückhaft Wissen über das Geschehene und muss ebenso die Rückschläge und Verwirrungen durchmachen, die Katie verursacht. Dadurch bleibt es durchgehend spannend und der Leser rätselt unentwegt mit. Und immer, wenn man glaubt, hinter die Wahrheit gekommen zu sein, kommt es plötzlich ganz anders. Doch egal, was man vermutet oder wie sich die Handlung entwickelt – am Ende hält Picoult für die Leser wieder ein Ende bereit, das überrascht und veranlasst, das Geschehene aus einem anderen Blickwinkel zu sehen …

Beeindruckt hat mich als Charakter Katies Freund Samuel. Die Art, wie er zu ihr hielt, trotz der Zweifel, trotz der Gerüchte und trotz Katies Untreue ihm gegenüber – er war für sie da, wann immer sie ihn brauchte und hat ihr vergeben. Er hat sie so aufrichtig und bedingungslos geliebt, dass man ihn auf einer Seite für seine Stärke bewundert und auf der anderen Seite mehr mit ihm leidet, als mit Katie, die ja eigentlich diejenige ist, der ein schlimmes Schicksal droht.

Sehr gelungen ist Jodi Picoult die Darstellung des Lebens in der amischen Gemeinde. Als Leser kann man alles sehr gut nachvollziehen und taucht vollkommen in diese für uns andersartige Welt ein. Und eigentlich möchte man am Ende des Buches gar nicht raus aus dieser Welt – sie ist so voller Harmonie, Nächstenliebe und Frieden und bildet einen solch starken Kontrast zu Ellies eigentlicher Lebenswelt, die ja auch die unsere ist. Nicht selten zieht man als Leser unbewusst Vergleiche zwischen diesen Welten und hinterfragt für uns selbstverständliche Dinge.

Fazit:

Picoult hat mit „Die einzige Wahrheit“ einen Roman geschaffen, der fesselt, überrascht und dem Leser mit seinem ungewöhnlichen Handlungsort – einer Amisch-Gemeinde – eine interessante Welt eröffnet und alles in einem anderen Licht erscheinen lässt. Scheinbar offensichtliches stellt sich als Falsch heraus, Ansichten und Regeln werden in Frage gestellt und stoßen auf unerwartete Probleme. Und dabei scheint es die „einzige Wahrheit“ nicht zu geben – bis zum Schluss kreisen die Fragezeichen über dem Kopf des Lesers. Am Ende werden alle Varianten der Tatnacht zerschmettert und es kommt, was man nicht vermutet hätte.